Die Flucht aus der Realität I (Text), Indira Fejzuli, Melis Ander
Der 17.07.1992 war der Tag, der für zwei Menschen alles veränderte. Alma und Adem waren jung und zerbrechlich, als sie beide nach Deutschland flohen. Das Schicksal entschied über das, was sie erwarten würden, doch das wussten sie noch nicht. Sie lernten sich am 20.01.1990 in Belgrad kennen, als sie 16 und er 18 war. Sie verliebten sich in einander. Ihr Treffen war ein Zufall, denn Adem kam aus der Türkei, er war für einen Monat bei seinem Freund, da dieser seine Mutter verloren hatte und Adem ihm Beistand leisten wollte. Als ihre Blicke sich trafen, spürten sie etwas wie noch nie zuvor, es war Liebe auf den ersten Blick. Adem wagte, den ersten Schritt zu machen, er ging auf sie zu und sprach sie an. Den Rest des Tages verbrachten beide zusammen, nebeneinander konnten sie wie Kinder sein und das schon am ersten Tag. Es war, als würden sie sich seit Jahren kennen. Dieses Wohlbefinden, welches sie bei einander fühlten, hatten sie noch nie bei jemandem gefühlt. Alles war so perfekt wie im Märchen, doch das Schicksal hatte andere Pläne mit den beiden. Alma war serbisch-orthodox und Adem Türke und Moslem. Für die beiden waren ihre Kultur und Religion kein Problem. Auch Adems Familie akzeptierte Alma. Doch Almas Familie veränderte alles für die beiden. Ihr Schicksal wendete sich am 03.05.1991. Es war ein schöner Freitagmorgen, die Sonne schien und alle waren gut gelaunt. Es war der Tag, an dem Alma Adem ihrer Familie vorstellen würde. Alles lief nach Plan, beide waren sehr aufgeregt, aber glücklich, dass sie ihre Beziehung künftig nicht mehr verheimlichen müssten. Als Adem die Wohnung von Almas Familie betrat, fielen erste unangenehme Blicke. Dann fand ihre Familie heraus, dass er Türke war. Almas Vater warf Adem aus der Wohnung. Er hatte sich geschworen, niemals mit einem Türken in Kontakt zu kommen. Alma wurde in ihr Zimmer eingesperrt. Keiner von beiden hatte eine solche Reaktion erwartet, es war schrecklich. Draußen fing es an zu stürmen. Es donnerte, blitzte, hagelte. Es fühlte sich an, als ob sich das Wetter der Situation der beiden anpasste. Adem fuhr zu seinem Freund und blieb dort für eine Weile. Adem und Alma weinten tagelang, keiner ahnte, dass es noch viel schlimmer kommen würde. Am 25.05.1991 wurde Alma mit einem 20-jährigen Serben namens Almin zwangsverheiratet. Keiner von beiden hatte mit solch einem Schicksalsschlag gerechnet. Eine Welt brach für sie zusammen. Sie liebten sich so sehr, warum musste ihnen das passieren? Die Ehe war furchtbar. Alma wurde misshandelt und vergewaltigt. Adem konnte nichts dagegen tun. Doch etwa zwei Monate nach der Zwangshochzeit schmiedete er einen Plan. Er wollte Alma entführen und mit ihr nach Deutschland fliehen. Die beiden sparten und beteten ein Jahr lang. Sie trafen sich in der Zeit nicht, sondern kommunizierten über andere Wege. Am Morgen des 17.07.1992, als Almin arbeiten war, schlich sich Alma aus dem Haus. Adem wartete bereits mit einem Auto in der Nähe, bereit sie in Sicherheit zu bringen. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, als sie in das Auto stieg und wusste, dass sie einen großen Schritt in Richtung ihrer Freiheit und ihres Glücks machen würde. Alma und Adem fuhren durch den Morgen zum Flughafen, die Straßen waren still und verlassen. Alma fühlte sich zum ersten Mal seit langer Zeit sicher und beschützt. Sie konnte die Dunkelheit hinter sich lassen und dem Licht entgegenfahren. In Deutschland angekommen, brachten sich Alma und Adem zunächst in einem Hotel unter. Es war kein sehr schönes Hotel, aber sie waren glücklich überhaupt etwas und sich zu haben. Nachdem sie eine Weile im Hotel gewohnt hatten, gingen sie zu Adems Familie, die in Köln lebte. Sie verstanden sich gut und Alma und Adem beantragten Aufenthaltsrecht. Doch plötzlich gab es einen Rückfall. Almin rief an und drohte ihnen. Er sagte, er wisse, wo sie seien. Jedoch meldete er sich danach nie wieder. Adem arbeitete viel für sich und Alma, damit sie ein besseres Leben führen konnten. Mit der Zeit heilten auch Almas Wunden, die physischen und die seelischen. Sie erhielt Unterstützung und Therapie, um die traumatischen Erfahrungen zu verarbeiten. Adem war immer an ihrer Seite und gab ihr die Liebe und den Halt, den sie so dringend brauchte. Langsam aber sicher fanden Alma und Adem ihr Glück in Deutschland. Sie bauten sich ein neues Leben auf und bekamen später zwei Kinder. Heute hat Alma ihrer Familie verziehen, denn ihre Eltern haben verstanden, dass es ein schrecklicher Fehler gewesen war, ihre eigene Tochter zu verheiraten und Adem nicht zu akzeptieren.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen